Letzte Überarbeitung am 20. Februar 2021
[Rezensionsexemplar]
Autor: Juli Zeh
Hörbuch, gelesen von Helene Grass
gekürzte Lesung, Gesamtlaufzeit 15h 23min, 2 mp3-Cds
erschienen: März 2016
Preis: 19,90€*
Buchrücken
Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf „Unterleuten“ irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick darauf wirft, ist bezaubert von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtige aus Berlin gerne kaufen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Kein Wunder, dass schon wenige Tage später im Dorf die Hölle los ist …
Meine Meinung
Gesellschaftsroman. Ein großes Wort. Ein Wort, das Erwartungen weckt. Viele Erwartungen, wie ich finde. Zumindest bei mir. Und ja, ich hatte von Anfang an viele Erwartungen an dieses Buch.
Zum ersten Mal in der Hand hatte ich es auf der Buchmesse, von da wanderte es auf meine Wunschliste. Dann geriet es ein wenig in Vergessenheit, bis ich nach neuen Hörbüchern für die Autofahrt suchte und wieder auf den Titel stieß. Danach, wieder vergessen, denn der erste Schritt war ja erledigt und ich würde mich wieder damit beschäftigen, wenn es denn da war. Dann, ein Besuch bei meiner Mutter, wo es als Buch auf dem Küchentisch lag und mich anzog und mich zum Rumblättern einlud. Der erste Eindruck war klasse, ich wollte mehr.
Zwei Tage später kam dann das Hörbuch an und ich freute mich regelrecht auf die Fahrt am Montagmorgen um 6:30, denn da hatte ich eine Stunde zeit um das Hören zu beginnen.
Ich kann sagen: Ich wurde nicht enttäuscht. Die Erwartungen wurden tatsächlich erfüllt.
Dies hier ist ein Gesellschaftsroman. Ein echter. Keine leichte Kost. Etwas zum drauf rumkauen und langsam verdauen. Das es eine gekürzte Lesung ist, bemerkt man nicht. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, das etwas fehlte oder mir ein Detail vielleicht entging. Trotzdem steht das Buch immer noch auf meiner Wunschliste. Ich möchte die ganze Geschichte lesen. Möchte noch einmal nach Unterleuten und es selbst erkunden. Mir nicht davon erzählen lassen.
Obwohl, das muss ich zugeben, Helene Grass ganz wunderbar erzählt. Ruhig und klar. Ganz unaufgeregt, aber trotzdem mit sehr viel Gefühl. Mir gefällt ihre Stimme. Sie passt irgendwie zur Geschichte. Ich hatte das Gefühl von einer Einheit. Stimme und Geschichte erzählten mir zusammen, was in Unterleuten passierte.
Es passierte übrigens viel. Sehr viel. Schon vor 20 Jahren, und noch mehr vor 50 Jahren. Aber doch nicht so viel, wie jetzt.
Jeder darf dabei mal seine Sicht der Dinge erzählen. Darf seine eigene Wahrheit zum Geschehen beitragen. Macht sich dadurch manchmal sympatischer und manchmal unsympatischer. Verstrickt sich in Lügen, ohne wirklich zu lügen. Erzählt nur, wie er sich erinnert, wie er Dinge erlebt. Welche Schlüsse er zieht. Welche Schlüsse andere ziehen, erzählen einem die Personen auch. Und dann erzählt eine dritte Person, was sie glaubt, was wirklich passiert ist.
Die Wahrheit? Die gibt es nicht. Klick um zu TweetenSie ist ein Konstrukt. Es ist wahr, was man glaubt, was wahr ist. Und wenn man Glück hat, dann glauben anderen Menschen das gleiche, wie man selbst. Aber nur vielleicht. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß. Es ist nur wahr, dass andere einen besser kennen als man selbst sich kennt. Andere wissen immer mehr über einen, als man selbst.
Eine Tatsache in Unterleuten, eine Tatsache in jedem Dorf auf der Welt. Ich weiß das, ich bin auf einem Dorf aufgewachsen. Nicht in einem Dorf wie Unterleuten, in einem anderen Dorf. Aber in einem ähnelt sich wohl jedes Dorf: Entweder du gehörst dazu, oder du bist der Feind.
Ganz einfach. Nur leider wechselt dieser Status sehr schnell. Wenn du nicht dafür sorgst, dass dir jemand einen Gefallen schuldet, dann bist du schnell raus aus der Gemeinschaft. Ganz schnell. Also schön artig mitspielen, dann klappt es auch mit den Nachbarn 😉
Die Unterleutner beherrschen dieses Spiel. Nur die zugezogenen, die beherrschen es nicht. Sie würden gerne mitspielen, aber ihnen fehlen die Verbindungen. Ihnen fehlt das Wissen, was einmal war. Sie können nicht ahnen, was sein wird.
Spannend. Zu hören und sicherlich auch zu lesen. Mit einem überraschendem Ende. Ich zumindest, habe nicht mit diesem Ende gerechnet.
Solltest du Gesellschaftsromane also mögen, dann kann ich dir dieses Buch wirklich nur empfehlen. Es ist toll. Es macht Spaß. Es unterhält. Es bringt einen zum Denken. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass ich schon länger kein Buch mehr gelesen habe (dabei habe ich es nicht mal gelesen), dass mir so gut gefiel.
Hallo Lexa,
ich habe dieses Buch als ungekürztes HB gehört und fand es genial! Gerade vor ein paar Tagen habe ich es einem sehr guten Freund empfohlen. Zurzeit scheint es mir wieder irgendwie in aller Munde. Vielleicht, weil es bald ein neues Buch von Juli Zeh geben wird. Darauf bin ich auch sehr gespannt.
Interessant wäre jetzt mal zu wissen, was im gekürzten Hörbuch fehlt. 😉
GlG vom monerl
Moin Monerl,
es gibt es auch als ungekürztes HB? Das wusste ich gar nicht. Bin nur auf diese Version gestoßen und habe dann nicht weiter nachgesehen, ob es noch andere Versionen gibt.
Ja, wäre wirklich interessant. Irgendwann werde ich es noch mal lesen. Und das ist dann ja auf jeden Fall ungekürzt 😉
LG Lexa