Letzte Überarbeitung am 8. Oktober 2018
„Ich liebe dich …“, flüsterte sie.
„Aber?“, fragte Marie.
„Ich weiß nicht, ob ich das mit uns noch kann… es fühlt sich falsch an.“, flüsterte Sarah weiter. Sie schien erleichtert, dass sie die Worte über die Lippen bekommen hatte. Glücklich sah sie dabei allerdings nicht aus.
Marie stutzte nur kurz und wirkte dann ganz gefasst: „Du willst also Schluss machen? Die letzten drei Jahre Vergangenheit sein lassen und neu anfangen? Wenn du das wirklich möchtest, dann tue es. Aber sage mir doch: Warum? Bist du nicht glücklich mit mir? Ich dachte eigentlich, du wärst es. Ich bin auf jeden Fall glücklich mit dir.“
Sarah stand nur da und schaute zu Boden. Keine Regung in der Miene, keine Bewegung im ganzen Körper. Sie stand und schaute Marie nicht an. Stand auf diesem wunderschönen Holzfußboden den sie zusammen wieder aufpoliert hatten. Den sie befreit hatten von den Jahren voller Teppich und Linoleum. Der dieser, ihrer Wohnung, so viel Wärme und Geborgenheit verlieh. Marie stand ihr gegenüber und ließ ihren Blick nicht einen Moment von Sarah abweichen. Sie wollte wissen, was los war. Woher diese Worte kamen. So aus dem Nichts. Ohne einen Streit, ohne schlechte Stimmung oder sonst irgendwas. Einfach so. An einem Samstagvormittag im Frühling.
Jetzt, endlich, regte sich Sarah. Ihre Schultern strafften sich und sie sah Marie in die Augen.
„Ich liebe dich. Ich liebe unser Leben. Ich liebe unsere Wohnung und ich liebe meine Arbeit. Aber das reicht mir nicht. Ich will mehr. Ich will eine Familie. Ich will Kinder. Seit ich klein bin will ich Kinder. Zwei Jungen. Oder auch Mädchen, aber zwei. Zwei Kinder. Ich will meine eigene Familie. Ich will mich um sie kümmern, ich will aufgestoßene Knie mit Pflastern bekleben und Schokoeis aus den Sofakissen waschen. Ich will Teil einer Familie sein. Und das geht mit dir nicht. Mit dir kann ich keine Familie sein. Wir können keine Kinder bekommen. Wir können nie mehr sein als wir. Nur wir. Das reicht mir nicht. Ich habe dieses Bild, mein Ideal, im Kopf, wie mein Leben sein soll. Mir dir kann ich dieses Idealbild nie erreichen. Es ist egal, wie glücklich ich jetzt bin. Es ist egal, dass ich meinen Ehemann wahrscheinlich nie so werde lieben können wie ich dich jetzt liebe. Das alles ist egal, wenn ich meine Kinder lieben kann. Wenn sie mein Lebenszweck werden. Ich liebe dich, aber das was wir haben, erfüllt nicht das Bild in meinem Kopf. Es reicht nicht.“
Nun standen sie da, mit vertauschten Rollen. Sarah aufrecht, gefasst und Marie im Blick. Marie schaute sich den Boden an. Die Maserung des Holzes. Und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Was sollte man der Wahrheit erwidern? Wie sollte sie Sarah etwas versprechen, das sie nicht halten konnte. Wenn sie sie wirklich liebte, musste sie sie dann nicht gehen lassen um eine Familie zu gründen? Auch sie wollte immer Kinder haben, aber sie war bereit auf diesen Traum zu verzichten. Der Liebe wegen, die sie für Sarah empfand. Es war für ein lesbisches Paar nun mal nicht möglich Kinder zu haben. Es war nicht erlaubt. Sie durften ja nicht mal mit Kindern arbeiten. Sie hatte ihren Beruf als Lehrerin aufgeben müssen, als sie mit Sarah zusammen zog. Es war ihr schwer gefallen, aber sie tat es gerne. Für Sarah. Und jetzt wollte Sarah sie verlassen, weil sie Kinder wollte. Weil sie lieber in einer Beziehung ohne Liebe mit Kindern leben wollte als in ihrer Beziehung voller Liebe ohne Kinder. Ironie des Schicksals. Grausame Welt. Aber Gesetz war Gesetz.
Sie sagte nichts, sie konnte nichts sagen. Und Sarah deutete ihr Schweigen als das, was es war. Die Akzeptanz der Wirklichkeit. Das Eingeständnis, das sie zusammen nie mehr als zwei sein konnten. Sarah ging. Sie drehte sich um und ging. Marie stand da und schaute sich die Maserung des Bodens an. So schön, so wirr, so warm. So schön…
Schweißgebadet schreckte Marie hoch. Was für ein Traum! Seit sie im sechsten Monat war träumte sie wirklich nur noch Blödsinn. „Zum Glück hat Sarah einen festen Schlaf und wacht nicht auch jedes mal auf.“, dachte sie noch, während sie sich an Sarah kuschelte und wieder einschlief. Am nächsten Morgen wusste sie schon gar nicht mehr, dass sie Nachts überhaupt aufgewacht war.
_________________
Die anderen Beiträge findet ihr hier.
Besonders gefallen haben mir zum Beispiel: Unsere Bilder, Genau so., Abgeschleppt, Das Bild, Bild
Aaach… ohne den letzten Absatz hätte ich den Text toller gefunden. Ernster und trauriger, zwar, aber mit mehr Botschaft. Bis dahin hab ich den Text (der sehr, sehr toll geschrieben ist!) als deutliche Kritik an homophoben Gesellschaften und Regierungen verstanden und fand das total klasse. Der letzte Absatz „ruiniert“ das ganze so nach dem Motto „Als ob es sowas geben würde!“ Weißt du was ich meine?
Liebe Grüße
Ja, ich weiß sehr gut was du meinst. Ich habe ehrlich gesagt auch länger überlegt, ob ich den letzten Absatz schreibe oder nicht.
Und habe mich dann doch dafür entschieden, weil ich die Hoffnung dadurch mag. Denn so einfach, wie es durch den letzten Absatz scheint ist es ja nicht. Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, das homosexuelle Paare Kinder bekommen können (und schon gar nicht, dass sie auch beide als „Eltern“ geführt werden…). Wie gesagt, heute habe ich mir für das „positive“ Ende entschieden, es erschien mir stärker. Vielleicht hätte ich morgen anders entschieden… weiß ich jetzt nicht.
Vielleicht kannst du den Text für dich ja ohne den letzten Absatz lesen. Denn die Botschaft, die du am Anfang gelesen hast ist auch die gewollte.
Und die Botschaft die du durch den letzten Absatz wahrnimmst ist so nicht gewollt. Finde ich schade, wenn sich durch die paar Zeilen ein ganzer Text für dich ruiniert.
Ändern würde ich ihn jetzt ungerne, jetzt steht er so da. Aber ich bin gespannt, ob es noch mehr so wahrnehmen wie du und ich durch die paar Sonnenstrahlen heute zu „sanftmütig“ eingestellt war um solch einen Text zu schreiben.
Da sieht man mal wieder, wie unterschiedlich Geschmäcker sind. Mir gefällt gerade der Schluss, der diesen Albtraum beendet. Das beweist, dass wir selbst für unser Schicksal verantwortlich sind und das eine oder andere in unsere Hände nehmen können.