CN: Tod
Wie sehr sie die Vorweihnachtszeit doch liebte. All der Kitsch und all die Deko. Die Lichter, die Gerüche und die Naschereien. Es war einfach herzerwärmend, diese Zeit zum Ende des Jahres. Voller Emotionen und Erinnerungen.
Und natürlich voller Dekoration. Weihnachtskerzen soweit die Sicht reichte: in jedem Zimmer, in der Fußgängerzone und auf jedem Grundstück.
Wobei, nein, nicht auf jedem Grundstück. Ein Grundstück widersetzte sich standhaft der Tradition, dem guten Willen und jeglicher Anpassung. Das Grundstück ihrer Eltern blieb auch dieses Jahr leer und trostlos. Nicht eine kleine Kerze ließ sich erahnen. Keine Schneestürme in Weihnachtskugeln erschütteln. Kein Zuckerguss von Plätzchen naschen.
Das Wohnzimmer sah aus wie immer, unverändert das gesamte Jahr. Alles stand an seinem Platz, an dem es schon seit 32 Jahren stand. Dekoration gab es hier nicht. Zweckmäßig hatte die Einrichtung zu sein. Zweckmäßig und zielgerichtet das Leben. Dekoration raubte einem nur Platz und Zeit, so die Überzeugung ihrer Mutter. Ihr Vater wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass es sie gab. Was er nicht sehen wollte, sah er nicht.
Wie die Enttäuschung in ihren Augen, wenn sie jedes Jahr wieder auf ein Weihnachtswunder hoffte. Vergeblich.

Sie konnte ihre roten Stiefel am fünften Dezember noch so sehr auf Hochglanz polieren, am drauffolgenden Morgen waren sie immer leer. All ihre Briefe an den Weihnachtsmann blieben ungeöffnet und unbeachtet auf dem Küchentisch liegen, bis sie sie im Januar dann selbst entsorgte.
Die große Freude einer Bescherung blieb ihr verwehrt. Jedes Jahr. Weihnachten existierte in diesem Haushalt nicht. Kein Fest existiere. Gesetzliche Feiertage galten als Zeitverschwendung und Geschenke als Geldverschwendung.
Dabei waren ihre Eltern einmal so lebenslustig gewesen. So voller Hoffnung und Vorfreude auf das Kommende. Und dann war sie da, am Weihnachtsmorgen vor 33 Jahren. Und verschwand unter den Rädern des weihnachtlich geschmückten Kleintransporters. Am Heiligabend vor 32 Jahren. Der Fahrer hatte ihren Kinderwagen nicht gesehen, weil ihm seine Weihnachtsmütze nicht passte.


[…] auch gerne wieder bei den heutigen #blogvent2020 Teilnehmern zum Thema Vorfreude vorbei: Meergedanken […]
Gut, dass es den CN gibt – was für eine Wendung bei diesem Thema. Der Text wird wohl noch eine Weile in meinem Kopf bleiben. Danke für’s schreiben …
Ja, irgendwie nicht so weihnachtlich. Eigentlich wollte ich was mit Happy End schreiben… Aber wenn so ein Gedanke für eine Kurzgeschichte erstmal da ist, dann will sie auch raus. Und zwar genau so, wie sie es will und nicht so, wie ich es gerne hätte.
oh, was für eine emotionale Geschichte.
Da kommen mir fast die Tränen.
Danke, dass du sie geteilt hast.
Oft wissen wir einfach nicht, warum andere Menschen anders handeln; bis wir sie fragen.
Und plötzlich ist Dezember. In das eh schon zu kleine Kalenderkästchen quetscht sich nicht nur ein, sondern gleich zwei oder sogar drei Termine. Und schon beginnt der Stress.
https://beduerfnisorientiertesfamilienleben.com/2020/12/09/die-vorweihnachtszeit/
[…] Meergedanken […]